Es war ein Abend, der sich in mehrfacher Hinsicht lohnte: Das Johannes-Gutenberg-Gymnasium Waldkirchen (JGG) lud im Rahmen seiner großen Ukraine-Hilfsaktion (PNP berichtete) zu einer Benefiz-Veranstaltung unter dem Motto „Regionale Autoren lesen für die Ukraine“ und bot dabei dem literarisch interessierten Publikum einen hochkarätigen Kulturabend. Darüber hinaus aber wurde – und dies war der eigentliche Zweck der Veranstaltung – ein vierstelliger Spendenbetrag für die vom Krieg in der Ukraine unmittelbar betroffenen Menschen generiert.
JGG-Schulleiter Dr. Andreas Schöps betonte in seiner Begrüßung die völlig unkomplizierte Vorbereitung, welche die erst wenige Tage zuvor von Oberstudienrätin Marion Haeuschkel, der Leiterin der JGG-Schulbibliothek, vorgebrachte Idee binnen kürzester Zeit Realität werden ließ: „Niemand musste überredet werden, eine jede, ein jeder war sofort dabei.“ Dies galt allen voran auch für die Autoren, die mit ihrer spontanen Zusage die Benefiz-Veranstaltung ermöglichten: Dr. Claus Kappl (Waldkirchen), Wolfgang Krinninger (Breitenberg), Karl-Heinz Reimeier (Grafenau) und Mirja-Leena Zauner (Passau).
Das Besondere dabei war, dass es die vier Autoren, ohne sich vorher intern zu koordinieren, mit ihren Beiträgen schafften, dem Anlass des Abends entsprechend das Spannungsfeld zwischen Heimat und Heimatverlust aufzuzeigen. Die virtuose musikalische Umrahmung – Tatiana Sverko und ihre Tochter Giulia Fioranti glänzten auf Klavier und Geige – unterstützte die Wirkung der literarischen Texte eindrucksvoll. Im Publikum, das die Aula des Gymnasiums gut füllte, saßen unter anderem der stellvertretende Landrat Franz Brunner sowie der ehemalige Röhrnbacher Pfarrer Markus Krell.
Nach dem musikalischen Auftakt durch JGG-Schülerin Giulia Fioranti, einer Etüde von Franz Liszt auf dem Klavier, gehörte die Bühne dem pensionierten stellvertretenden JGG-Schulleiter Dr. Claus Kappl, der in der regionalen Literaturszene durch seine kriminellen Einblicke in Waldkirchens fiktionale Vergangenheit bekannt ist. Entsprechend stand sein Roman „Endlager. Altlasten im Granit“ im Mittelpunkt des Beitrags, und hier insbesondere der Prolog, der den Leser aus dem Blickwinkel eines Kindes Zeuge des Artilleriebeschusses auf Waldkirchen am 26. April 1945 werden lässt. Dass sich zeitgleich zur Lesung keine tausend Kilometer entfernt in der Ukraine ähnliche Szenen abspielten, musste dabei gar nicht erst ausgesprochen werden.
Kappls Verlagskollege Karl-Heinz Reimeier, seit 1986 einer der drei Heimatpfleger des Landkreises Freyung-Grafenau und mit zahlreichen Kulturpreises ausgezeichnet, beleuchtete den Begriff Heimat aus gänzlich anderer Perspektive: In seinen Auszügen aus seinen Sammlungen „Wenn’s weihrazt“ – gelesen in tiefster, authetischer Waidler-Mundart, so wie von seinen Gewährspersonen an ihn herangetragen – vergegenwärtigte er rational nicht erklärbare Begegnungen aus der Zwischenwelt, insbesondere im Zusammenhang mit Sterben und Tod, und zog das Fazit: „Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir uns vorstellen wollen.“
Mirja-Leena Zauner ist bekannt für ihre „Lieblingsplätze in und um Passau“. Der Anlass des Abends rund um die aktuellen Ereignisse aber, so räumte sie ein, verbiete es ihr, aus diesem Kulturreiseführer zu lesen. Stattdessen entschied sie sich für einen nicht publizierten und bis dato auch noch titellosen Erzähltext, welcher die Familiengeschichte der Autorin, die mütterlicherseits finnische Wurzeln hat, mit jeder Menge Fantasievollem verknüpft. Die zitierte Textstelle ließ dabei eintauchen in das bescheidene und doch so kraftvolle Leben der Ingermanland-Finnen, benannt nach einer historischen Provinz im Gebiet um das russische St. Petersburg. Während des Zweiten Weltkriegs flohen die meisten Angehörigen dieser Volksgruppe nach Finnland, mussten auf Geheiß Stalins aber wieder zurückkehren, um andernorts angesiedelt zu werden. In Zauners Text bekommen sie eine literarische Hommage.
Den Schlusspunkt des Abends setzte Wolfgang Krinninger, Chefredakteur des Passauer Bistumsblattes und bekannt für seine humoristischen und zugleich tiefsinnigen Kolumnen. Seine Botschaft – das Positive, das, was Leben ausmacht, auch in schwierigen Zeiten nicht aus den Augen zu verlieren – verdeutlichte er anhand drei kleiner Geschichten aus seinem Band „Zwischen Gras und Wolken“. Gerade der erste Text rund um das Erwachsenwerden von vier Freunden rief Bilder aus den beginnenden 1980-er Jahren hervor, die aktueller kaum sein könnten: Friedensdemos gegen die Politik der Supermächte und ihre Aufrüstung in Europa, Nicoles Grand Prix-Erfolg mit dem Schlager „Ein bisschen Frieden“…
Für alle präsentierten Werke galt: Die Auszüge weckten die Neugier auf mehr. Der abschließende Dank von Schulleiter Dr. Schöps galten neben den Autoren und den Musikerinnen insbesondere auch Buchhändlerin Hedy Kunze, die das JGG nicht nur bei der Organisation der Veranstaltung tatkräftig unterstützte, sondern auch den Reinerlös aus dem Abendverkauf der Spendenaktion zuführte, ebenso dem JGG-Lehrerkollegium und dem Förderverein für die kulinarischen Genüsse. Die Veranstaltung wurde unter Einhaltung der 3G-Regel und der Maskenpflicht durchgeführt.