„Eine Essstörung ist eine Sucht!”

Infotag am JGG Waldkirchen – Erfahrungen aus dem Leben einer Betroffenen

Essstörungen haben, unter anderem befeuert durch die sozialen Medien, gerade unter Jugendlichen in den letzten Jahren zugenommen. Dies bestätigte auch Sabrina Scharf, die am Johannes-Gutenberg-Gymnasium Waldkirchen (JGG) über das Thema informierte. Die Referentin ist selbst eine Betroffene und litt zehn Jahre lang an Magersucht. In kurzweiligen, fast schon kabarettistisch anmutenden Workshops veranschaulichte sie den Schülerinnen und Schülern nicht nur mit sehr viel Humor, sondern auch schonungslos und ehrlich, wie schnell aus „ich nehme ein paar Kilo ab“ eine Sucht entstehen kann.

„Ich habe mich wirklich wie eine Süchtige verhalten: Das einzige, an das ich noch denken konnte, waren Kalorien. Und wenn ich mich vor dem Essen drücken wollte, habe ich alle in meinem Umfeld angelogen und Ausreden erfunden“, erklärte Scharf. Leidende wie sie würden versuchen, die eigene Situation zu kaschieren, sich selbst und anderen vormachen, dass alles in Ordnung sei. Dabei sei das anfängliche Abnehmen gar nicht das eigentliche Problem gewesen, das sitze in der Regel bei den Betroffenen viel tiefer: „Die einen haben ein geringes Selbstbewusstsein, andere wiederum leiden unter Schuldruck, Mobbing oder belastende Beziehungen.“ Und dann habe die „Stimme der Magersucht“ einen sehr schnell im Griff und gebe einem vor, was man noch essen dürfe und was nicht.

„Ihr seid auch nicht mehr in der Lage, euch realistisch im Spiegel wahrzunehmen“, beschrieb die Referentin die mit der Zeit einsetzende Körperwahrnehmungsstörung. Ihr sei beispielsweise erst dann bewusst geworden, dass sie etwas ändern müsse, als es schon fast zu spät gewesen sei: „Selbst als der Arzt mir sagte, dass meine Leber stark geschädigt ist und ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, dachte ich noch, ich hätte alles unter Kontrolle.“ Man dürfe die Folgen einer langanhaltenden Mangelernährung nicht unterschätzen, mahnte sie. Diese gehe unter anderem einher mit einem schrumpfenden Gehirn, Muskelabbau und der Schädigung innerer Organe.

Deswegen gab Scharf in der Abendveranstaltung „Essstörungen – Prävention durch Erfahrung“, die das JGG mit Unterstützung der KEB für Eltern und Interessierte auf die Beine gestellt hatte, auch den Rat an das Umfeld, Geduld zu üben und im Bemühen um den Kranken nicht nachzulassen. Verständnis sei wichtiger als den Kranken zur Verhaltensänderung zu drängen. Sie warnte davor, dem Kranken mit Unverständnis und rationalen Lösungsvorschlägen zu begegnen. „Wenn sich Sozialkontakte abwenden oder Druck machen, dann macht das die Situation für die Betroffenen noch belastender.“

Anschaulich schilderte die Referentin ihren Leidensweg und erzählte den Zuhörern dabei von ihrer Therapie, von der Erkenntnis, was die Essstörung ausgelöst und befeuert hatte – und somit von ihrem Ausweg. „Mit jedem Kilo, das man zunimmt, geht’s einem auch wieder besser!“ Dass dies ein Thema ist, das die Gesellschaft beschäftigt, zeigten die vielen Nachfragen und Einzelgespräche, für die sich Scharf am Ende der Veranstaltung noch viel Zeit nahm.

Am JGG ist es den Lehrkräften und dem Beratungsteam um Schulpsychologin Alexandra Matt und Sozialpädagogin Dike Attenbrunner sehr wichtig, präventiv auf mögliche Problemfelder aufmerksam zu machen und eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen – auch damit die Schülerinnen und Schüler wissen, an wen sie sich im Notfall rechtzeitig wenden können.

„Manche Magersüchtige zählen sogar die winzigen Brotkrumen, die sie täglich essen“, berichtete die Referentin Sabrina Scharf.