Eine Sozialkunde-Doppelstunde der besonderen Art erlebten die Schülerinnen und Schüler der Q12 des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums Waldkirchen (JGG): MdB Thomas Erndl (CSU), Direktabgeordneter des Wahlkreises Deggendorf/Freyung-Grafenau und stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, beleuchtete mit dem Abschlussjahrgang – passend zum derzeitigen Unterrichtsthema „Frieden und Sicherheit als Aufgabe der internationalen Politik“ – von der Ukraine-Krise über Bundeswehr-Einsätze im Ausland bis hin zum Umgang mit China aktuelle Konflikte und Herausforderungen der globalen Weltordnung.
Schulleiter Dr. Andreas Schöps, der den Abgeordneten am JGG willkommen hieß, sprach bei seiner Begrüßung mit Blick auf die außen- und sicherheitspolitische Agenda von einer „Welt im Wandel“: Täglich höre man von neuen Entwicklungen im Russland-Ukraine-Konflikt, der Friedensprozess in Nahen Osten sei ins Stocken geraten, in Peking sehe man keine deutschen Spitzenpolitiker, um olympische Leistungen zu honorieren, seit zwei Jahren lebe man in und mit einer Pandemie. Der Schulleiter freute sich, dass durch den Besuch des Abgeordneten wertvolle Einblicke in die Arbeit eines demokratischen Parlaments – „reden, streiten und die besten Lösungen für uns alle finden“ – im Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit gegeben würden.
Wie sehr derartige Themen auch das Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen berühren, zeigte das Format des Abgeordneten-Besuchs: MdB Erndl hielt keinen Vortrag und beantwortete Zwischenfragen der Zuhörer, sondern nahm in der Mitte eines Schülerforums Platz. Zudem standen nicht parteipolitisch motivierte Positionen im Mittelpunkt, sondern es ging um die Hintergründe, die Verflechtungen und die der Politik zur Verfügung stehenden Optionen zur Bewältigung der aktuellen internationalen Herausforderungen. Auf diese Weise konnten verschiedene Perspektiven ausgetauscht werden.
Mit Antonia Altenkamp, Elisabeth Bumberger, Mick Meier, Moritz Nigl, Fabian Wilhelm und Xaver Wilhelm waren sechs Schülervertreter in die Moderatorenrolle geschlüpft. Sie griffen im Gespräch gezielt ihre Themenbereiche rund um den Ukraine-Konflikt, die Zukunft von NATO und Bundeswehr, internationale Militäreinsätze mit Schwerpunkt Mali, das Afghanistan-Desaster sowie den Umgang mit „schwierigen“ Partnern wie Türkei und China auf – und machten dabei deutlich: Die Konflikte sind keineswegs meilenweit entfernt, sondern liegen unmittelbar „vor der Haustüre“ mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für die eigene Lebensgestaltung.
Die Welt von heute sei, so MdB Erndl, „extrem vernetzt. Es existieren vielfältige wirtschaftliche Verflechtungen, etwa mit China und Russland, auch wenn uns die politische Realität in diesen Ländern nicht gefällt.“ Auf die Frage, warum die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine gerade jetzt so besorgniserregende Ausmaße angenommen hätten, verdeutlichte Erndl, dass er – anders als Putin es darstelle – keine akute Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen sehen könne. Putin gehe es vor allem darum, die europäische Sicherheitsordnung in seinem Sinne zu verändern, sich eine größere Einflusszone in Osteuropa zu sichern und im Westen Uneinigkeit zu schaffen.
Gefragt, ob er an einen friedlichen Ausgang des Konflikts glaube, meinte er: „Ein großes Fragezeichen bleibt.“ Putin habe sehr viel investiert, auch um von inneren Problemen abzulenken, weshalb für Russland ein Rückzug nicht so ohne Weiteres möglich sei. Der Westen könne dem nur durch Einigkeit, auch innerhalb der NATO, eine klare Formulierung von Konsequenzen sowie anhaltende Diplomatie entgegentreten. Auch mit Blick auf die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 – „Rein aus der technischen Warte her stand ich dem Projekt immer positiv-befürwortend gegenüber“, so Erndl – wünsche sich der Abgeordnete eine klare Aussage der neuen Bundesregierung.
Die NATO sieht Erndl, auf eine kritische Frage reagierend, als „absolut zeitgemäß“. Die nicht dem Bündnis angehörende Ukraine sei ja vor allem deshalb so bedroht, da sie militärisch extrem schwach sei – anders als etwa die ebenfalls einst zur Sowjetunion gehörenden baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die längst Mitglied der NATO sind und sich auf entsprechenden militärischen Rückhalt verlassen könnten.
Der „Faktor Russland“ tauchte auch bei den weiteren Gesprächsthemen des Schülerforums immer wieder auf. Die Niederlage der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan etwa sei eine perfekte Gelegenheit für Putin gewesen, den Westen im Zusammenhang mit der Ukraine herauszufordern. Und auch mit Blick auf das „wahninnig verwobene Konfliktfeld“ Mali – die Stabilität der Sahelzone sei äußerst wichtig, so Erndl, um Flüchtlingsströme nach Europa zu verhindern und um Terroristen keine Rückzugsregion zu schaffen – sei es wohl so, dass die aktuelle Militärregierung mit Russland kooperiere.
Auch bei den Olympischen Spielen in Peking – von China „als Feigenblatt missbraucht, um diverse Vorgänge zu überdecken“ – stand Putin bei der Eröffnung als einziger hochrangiger ausländischer Gast Seit an Seit mit China. Und ob die Peking-Absage deutscher Regierungspolitiker angebracht sei? Das auf jeden Fall, so Erndl, allerdings vermisse er hierbei eine klare Aussage, statt auf „terminliche Gründe“ zu verweisen.
Als Fazit aus dieser „hochinteressanten Diskussion“ betonte Q12-Schülerin Antonia Altenkamp, dass der Austausch mit dem Abgeordneten nicht nur neue Perspektiven aufgezeigt, sondern auch verdeutlicht habe, wie wichtig es sei, „in Anbetracht des Zusammenspiels so vieler außenpolitischer Faktoren im Dialog zu sein, um an einer friedlichen und sicheren Weltordnung zu arbeiten.“ Dem konnte MdB Erndl, sichtlich beeindruckt vom Anspruch und der Breite der Diskussion, nichts hinzufügen.
Im Anschluss an das Schülerforum informierte sich der Abgeordnete in einem Gespräch mit der Schulleitung über aktuelle Perspektiven der Schulentwicklung, bevor er sich – und das zeigt die Breite des Spektrums seiner Arbeit im Bundestag – ins Auto zu einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktion zurückziehen musste, wo der MdB in Form einer Telefonkonferenz zugeschaltet war.