„Verstehen durch Erleben“ – Unter diesem Motto machten sich 67 Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums Waldkirchen (JGG) zusammen mit ihren Religions- und Ethiklehrerkräften auf den Weg nach Straubing, in die einzige Synagoge Niederbayerns.
Schon beim Einlass wurde deutlich, dass Juden auch in Straubing heute umsichtig agieren müssen: Ohne Anmeldung bleibt das elektrische Tor, das Zutritt zum Gelände verschafft, geschlossen. Ein Polizeiauto steht zum Schutz der Besucher direkt vor dem Eingang.
Die Sozialpädagogin Svetlana Zap, eine ukrainische Jüdin, die seit über 30 Jahren in Deutschland lebt, begrüßte die Jugendlichen herzlich und die Jungen bekamen zur Begrüßung gleich eine Kippa – eine traditionelle jüdische Kopfbedeckung, welche alle Jungen und Männer der jüdischen Glaubensvorschriften gemäß beim Betreten einer Synagoge oder beim Gebet aufsetzen, um Gott ihren Respekt und ihre Demut zu erweisen. Neugierig betraten die drei neunten Klassen anschließend die Synagoge: Anders als in einer Kirche nahmen die Mädchen und die Jungen getrennt auf den verschiedenen Seiten der Synagoge Platz.
Die jungen Leute erhielten einen kurzen Einblick in die Geschichte der jüdischen Gemeinde in der Stadt Straubing und die aktuelle Situation. Das Jahr 1907 markiert hierbei einen Meilenstein in der jüdischen Geschichte Straubings, da in diesem Jahr die bis heute bestehende Synagoge errichtet wurde. Am 9. November 1938 wurde während des Novemberpogroms die Inneneinrichtung der Synagoge verwüstet und ein jüdisches Geschäft geplündert. Im Gegensatz zu vielen anderen reichsweiten Pogromen in Deutschland blieb die Synagoge selbst jedoch erhalten. Die Synagoge in Straubing ist somit die einzig verbliebene Synagoge in Niederbayern.
Anschaulich und spannend erzählte Frau Zap von jüdischen Bräuchen, von der überragenden Bedeutung der Tora für die Juden, von orthodoxen und liberalen Juden und vom mühsamen Lernen des Hebräischen der hier lebenden Jugendlichen, um aus dem heiligen Buch vorlesen zu können. Die Waldkirchener erfuhren in diesem Zusammenhang auch, dass bei der Feier eines Gottesdienstes immer zehn jüdische Männer, die bereits die Bar Mizwa empfangen haben – also mindestens 13 Jahre alt sind – anwesend sein müssen. Sonst könne der Gottesdienst nicht stattfinden oder man müsse schnell noch einen zehnten Mann anrufen, erklärt Frau Zap humorvoll.
Was es denn mit den strengen Speisevorschriften auf sich habe, wollten die 9. Klässler wissen. Als Frau Zap dann erläuterte, es gäbe im angrenzenden Gemeindehaus zwei getrennte Küchen – eine für milchige, eine für fleischige Speisen –, waren viele JGG-ler erstaunt, welche Konsequenzen diese Regeln mit sich bringen. Und dass es die Möglichkeit gibt, in „Israelitischer Religionslehre“ Abitur zu machen, hörten viele zum ersten Mal.
Zum Höhepunkt des Besuchs öffnete Frau Zap den Toraschrein und gab so den Blick auf die wertvollen Torarollen – „Königinnen“ genannt – frei. Sichtlich beeindruckt und durch neue Erkenntnisse bereichert, traten schließlich alle den Heimweg an – nicht aber, ohne noch bei einigen der zahlreichen Straubinger Stolpersteine bedrückt innezuhalten, die vor der Synagoge als Erinnerungssteine an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt wurden.
Im Anschluss an die Fahrt reflektierten die Schüler und Schülerinnen nochmals die vielen neuen und interessanten Eindrücke und es zeigte sich einmal mehr, dass Lernen vor Ort zum einen besser im Gedächtnis bleibt und zum anderen ganz anders berührt. So erinnerten sich die Jugendlichen im Nachgang beispielsweise daran, mit wieviel Mühe und Aufwand eine Torarolle per Hand mit Tinte abgeschrieben wird oder dass man bei einem jüdischen Begräbnis auf das Grab Steine statt Blumen legt, um Tränen zu symbolisieren. Auch gegen das Verbot von Arbeit am Sabbath hätten manche der Schüler nichts einzuwenden, außer gegen den Verzicht auf elektronische Geräte natürlich.
So wurden die im Unterricht erarbeiteten Begrifflichkeiten wie „Erinnerungskultur“ am Ende dieser Fahrt für die Neuntklässler greifbar: die Geschichte des eigenen Landes nicht vergessen, sich erinnern und daraus für die Zukunft lernen.