Jeder bayerische Abiturient, egal ob nun im gerade auslaufenden achtjährigen oder im neuen neunjährigen Gymnasium, muss im Vorfeld der Abiturprüfung eine Seminararbeit (früheren Generationen als „Facharbeit“ bekannt) anfertigen, mit der unter Beweis gestellt werden soll, dass man beim Erwerb der Hochschulreife in der Lage ist, eigenständig und orientiert an wissenschaftlichen Standards eine thematische Fragestellung zu ergründen und die dabei gewonnenen Ergebnisse in schriftlicher und mündlicher Form zur Diskussion zu stellen.
Hierzu belegt jeder Abiturient ein sog. „Wissenschaftspropädeutisches Seminar“ – kurz: W-Seminar – in einem bestimmten Fach, in dem gemeinsam in der Lerngruppe an einem Rahmenthema gearbeitet wird, bevor sich dann jeder Seminarteilnehmer selbständig in Form seiner Seminararbeit mit einem Teilaspekt hieraus beschäftigt. Das Seminar erfüllt damit auch eine Brückenfunktion zur Welt der Hochschulen und Universitäten, etwa durch die Einbindung wissenschaftlicher Referenten, Uni-Besuche oder die Nutzung der Universitätsbibliothek.
Am Johannes-Gutenberg-Gymnasium Waldkirchen (JGG) haben nun alle 83 Schülerinnen und Schüler der Q12, für die Ende April die Abiturprüfung beginnt, ihr W-Seminar abgeschlossen. Insgesamt waren für den Jahrgang sechs Seminare aus unterschiedlichen Fachrichtungen angeboten. In Rahmen eines Seminararbeitstages stellte nun unter Moderation von Oberstufenkoordinator Thomas Gabriel pro W-Seminar ein Vertreter die Ergebnisse seiner Arbeit vor. Die Schülerinnen und Schüler der 11. Klassen bildeten dabei das Publikum. Sie nämlich werden die nächsten sein, die ab Herbst eine Seminararbeit zu erarbeiten haben. Die Veranstaltung war zugleich verknüpft mit einem Seminararbeitspreis, den eine Jury aus Lehrer- und Schülervertreten vergab.
Für das von Oberstudienrätin Christine Domani geleitete W-Seminar Physik vertrat Xaver Bumberger. Das Seminar insgesamt stand unter dem Motto „Sag mal Du als Physiker – ein physikalischer Podcast“. Dabei wurden audible-Podcasts der gleichnamigen erfolgreichen Serie zu physikalischen Inhalten aus allen Teilgebieten der Physik wissenschaftlich vertieft. Der Clou bei diesem Podcast ist, dass ein Journalist, der sich in Physik nicht sonderlich auskennt, zwei promovierten Physikern so lange Fragen stellt, bis auch er es kapiert. Die beiden Physiker sind deshalb gezwungen, alles sehr anschaulich und größtenteils ohne Formeln zu erklären. Das ist einerseits unterhaltsam, andererseits aber auch lehrreich.Xaver Bumberger nahm sich hieraus des Themas „Physikalische Verfahren in der Müllverwertung“ an und vertiefte es unter Einbindung der Praxis regionaler Unternehmen.
Im sprachlichen Bereich waren mit den Fächern Deutsch und Latein zwei Angebote vertreten. Die Schülerinnen und Schüler des W-Seminares Deutsch untersuchten gemeinsam mit Oberstudienrätin Heike Schneider die spannende und ergiebige Welt des bairischen Dialekts. Hannah Uhrmann, die für das Seminar referierte, untersuchte dabei die Ethymologie der bis heute gepflegten Haus- und Hofnamen in der sog. „Neuen Welt“, der Gegend um ihren Heimatort Breitenberg, und erklärte auf höchst anschauliche und auch amüsante Art und Weise, wie es etwa zu Namen wie „Büdhans“ und „Greaveicht“ kam. Das Latein-Seminar um Studienrätin Maria Kölbl untersuchte das Thema „Zwischen otium und negotium – Bauwerke in Rom zur Freizeitgestaltung für das öffentliche Leben“. Abiturientin Luisa David präsentierte dabei ihre Seminararbeit, die einen vielschichtigen Einblick in den Alltag der Gladiatoren gab, also jener Berufskämpfer im antiken Rom, die in öffentlichen Schaukämpfen gegen ihresgleichen antraten.
In dem von Studiendirektor Christian Weishäupl geleiteten W-Seminar im Fach Geschichte krachte es regelmäßig gewaltig. Untersucht wurden nämlich „Aufstände, Attentate und Anschläge“ aus verschiedenen Zeiten und Erdteilen. Tobias Faltejsek wählte sein Arbeitsthema aus dem Bereich der griechischen Antike und diskutierte dabei, ob im Rahmen des sog. „Ionischen Aufstandes“, einer Rebellion der kleinasiatischen Griechen gegen die persische Oberherrschaft um 500 v.Chr., tyrannische Herrscher gar für demokratische Ideale eintraten und ob die Rebellion vielleicht sogar als historisch erster Ost-West-Konflikt bewertet werden könnte.
Einen historischen Bezug hatte auch das Thema, das Franz Schinko für das W-Seminar Katholische Religionslehre vorstellte: Er untersuchte religiöse Elemente in der Hitler-Jugend und knüpfte dabei an die Totalitarismus-Forschung an, wonach totalitäre Systeme stets den Charakter einer Ersatzreligion einnehmen. Sein von Oberstudienrätin Maria Zeindl geleitetes Seminar fand unter dem Arbeitstitel „Religiosität als Phänomen“ statt.
Das W-Seminar Geographie unter der Leitung von Oberstudiendirektor Dr. Andreas Schöps trug den Titel „BNE-Bildung für nachhaltige Entwicklung”. Die Schülerinnen und Schüler entwickelten hier Unterrichtseinheiten zum Themengebiet der Nachhaltigkeit, die auch zukünftig in der Schule und darüber hinaus verwendet werden können, etwa Exkursionen zum Biobauernhof, ins Biohotel, zum Ökosystem Wald und Bach sowie zum Bau von Insektenhotels, Reptiliengärten oder zu nachhaltiger Imkerei. Hannah Neumüller vertrat das Seminar mit einem Vortrag zum Thema „Entwicklung einer Unterrichtseinheit für die fünften Klassen zum Bau von Insektenhotels für das JGG“.
In der Zusammenschau aller sechs Vorträge war das Publikum überrascht von der Vielfalt der Themen, aber auch von den Intensität der Auseinandersetzung auf wissenschaftspropädeutischer Basis. So wurde etwa Feldforschung vor Ort betrieben, es wurden Archive aufgesucht, Experten befragt, englischsprachige Fachbücher und Quellenübersetzungen studiert oder Experimente durchgeführt, ausgewertet und dokumentiert. Die achtköpfige Jury, die den Seminarpreisträger küren sollte, hatte kein leichtes Spiel. Am Ende einer knappen Abstimmung ging die mit einem gut dotierten Buchgutschein verbundene Auszeichnung an Franz Schinko. Der große Schlussapplaus aber galt allen Referentinnen und Referenten sowie Ben Maier, der die Technik und das Rahmenprogramm unterstützte. Für die Schüler der 11. Klassen war die Veranstaltung zugleich ein kleiner Vorgeschmack auf die sog. „Wissenschaftswoche“, die gleich nach den Ferien erstmals am JGG stattfindet.