Vortrag über das Nammeringer Massaker im zweiten Weltkrieg

Zum 78. Male jähren sich in diesem Tagen die schrecklichen Ereignisse, die sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Nammering, einem Ortsteil der Gemeinde Fürstenstein in etwa 30 Kilometer Entfernung von Waldkirchen, abgespielt haben: Im Rahmen eines sogenannten Todesmarsches endete dort das grausame Martyrium von fast 800 Menschen, die vom Konzentrationslager im thüringischen Buchenwald nach Dachau gebracht hätten werden sollen, weil sie nicht den näherrückenden US-amerikanischen Befreiungstruppen in die Hände fallen sollten.

Über dieses Kriegsverbrechen, das sich nicht etwa im besetzten Osten oder in den bekannten süddeutsch-oberösterreichischen Konzentrationslagern, sondern in der unmittelbaren Heimatregion abspielte, informierte der pensionierte Volksschullehrer Nikolaus Saller, der sich seit Jahren intensiv der Aufarbeitung und der Erinnerung an das Grauen von 1945 widmet, in Form eines bewegenden Vortrags die Neuntklässler des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums Waldkirchen (JGG). Diese wiederum setzen sich derzeit im Geschichtsunterricht mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Neubeginn in Deutschland unter alliierter Besatzungsherrschaft auseinander.

Was der Referent im Gepäck hatte, war in der Tat keine leichte Kost für die Doppelstunde Geschichte: Am Bahnhof von Nammering, den es heute in dieser Funktion nicht mehr gibt, spielte sich im April 1945 das wohl größte Nazi-Verbrechen in Niederbayern ab. Weil die Alliierten von Ost und West immer näher rückten, sollte das KZ Buchenwald bei Weimar evakuiert werden, auch um die dort verübten Gräuel vor den Alliierten zu kaschieren. 5009 Häftlinge wurden, nachdem bereits 71 auf dem Weg zum Bahnhof willkürlich erschossen worden waren, in einen Zug aus 54 Vieh- und Kohlewaggons verfrachtet. Dieser sollte die Häftlinge eigentlich nach Flossenbürg in der Oberpfalz, schließlich aber nach Dachau bei München bringen, musste jedoch, um nicht den US-Truppen in die Hände zu fallen, einen Umweg über Dresden und das heutige Tschechien nehmen.

Auch auf bayerischem Boden musste der Zug Umwege nehmen, weil der zentrale Bahnhof in Plattling bereits zerbombt war. So lief der Zug am Nachmittag des 17. April 1945 am Nammeringer Bahnhof ein, wo er aufgrund einer beschädigten Bahnstrecke bei Tittling zwangsweise fünf Tage pausieren musste. Was folgte war ein dauerndes und willkürliches Schießen unter dem Kommando des Zugführers Hans Merbach, eines SS-Obersturmführers, der bis dahin eine steile Karriere in verschiedenen Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis hingelegt hatte, unter anderem als Kommandeur der Hundestaffel in Auschwitz.

Augenzeugen des Nammeringer Massakers erinnern sich unter anderem, dass Blut aus den Zugwaggons gesickert war, aber auch an markerschütternde Hilferufe, Geschrei und Gejammer. Die Bevölkerung der ganzen Umgebung wollte, unter anderem animiert durch den Pfarrer von Aicha, mit Lebensmitteln helfen, die sich zunächst jedoch in erster Linie die SS und die Wachmannschafften krallten. Als der Zug weiterfuhr, hinterließ er 794 tote Häftlinge in Nammering. Transportführer Merbach hatte unter anderem ein Massengrab in einem nahegelegenen Sumpf angeordnet. 524 Tote wurden über die Böschung des Bahndamms hinuntergerollt und dort verscharrt.

Drei Wochen später entdeckten die zwischenzeitlich vorgerückten Amerikaner dieses Massengrab. Um die Bevölkerung mit den Gräueln der Nazi-Herrschaft zu konfrontieren, wurde den Einheimischen angeordnet, die Toten zu exhumieren und sie auf den umliegenden Friedhöfen zu bestatten. Alle Menschen der Umgebung mussten dieses Szenario besichtigen, wovon auch viele Fotoaufnahmen existieren. Beim einstigen Bahnhof von Nammering erinnern heute ein Gedenkstein sowie eine Installation mit Schautafeln an die Nazi-Gräuel.  

Im zweiten Teil des Vortrags stellte der Referent Nikolaus Saller den Gymnasiasten mit dem 94-jährigen Ben Lesser einen heute in den USA lebenden Zeitzeugen vor, der als Jugendlicher den Todeszug über Nammering und damit auch den Holocaust überlebt hatte und der es sich im hohen Alter zur Lebensaufgabe gemacht hat, seine Erinnerungen zu teilen und somit den Hass zu beenden. Und diesen Ben Lesser können alle Interessierten am 7. Mai 2023 bei einer Gedenkfeier in Fürstenstein hören: Am KZ-Grabmal des Friedhofs von Fürstenstein wird er per Online-Schaltung das Kaddisch, das jüdische Totengebet, sprechen und anschließend erzählen, wie er selbst den Todeszug erlebt und – als einer von 816 Häftlingen, die am 27. und 28. April 1945 verkeilt mit hunderten Toten mit dem Zug in Dachau ankamen – überlebt hat.  

Genauere Informationen zu den Nazi-Gräueltaten von Nammering sowie Hinweise zu Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen finden sich auf der privaten Homepage von Niklaus Saller unter www.nsaller.de.

Referierte am JGG über den Todeszug nach Dachau, der im April 1945 in Nammering 794 Tote hinterließ: der pensionierte Volksschullehrer Nikolaus Saller, der sich auf vielfache Weise dafür einsetzt, dass das Martyrium der Toten von Nammering nicht in Vergessenheit gerät.